VON DER LUST DER BILDHAUEREI - Am Anfang war Dübelmasse
Das ist nicht unbedingt das Material, welches man sich bei einem
22-jährigen, der sich plötzlich für Plastisches interessiert,
erwartet. Dennoch, es machte Spaß...
Glücklicherweise entdeckte ich alsbald die Plastikabendschule
der Kunst-Akademie. Nach genügend selbstbewußter Aufdringlichkeit
durfte ich mitten im Semester dort einsteigen und erst einmal ganz
akribisch Naturstudium betreiben.
Im Gegensatz zu meinen eher geometrisch-raumbildnerischen Ambitionen
war nun Frucht- und Aktstudium angesagt. Durch diesen Widerspruch
begriff ich schnell, die Emotion einer anatomischen Figur durch
räumliche Grundformen auszudrücken. Mathematik und Anatomie
ergaben erstaunlicherweise emotio-nalen Ausdruck. Mit wachsender
Virtuosität konnte ich mehr und mehr ?aus dem Bauche heraus?
arbeiten - für ein Wissenschaftlerkind ein wichtiges Thema...
Das Diplom konnte kommen! Es wurde aber anders als geplant, denn
es war Herbst 89. Statt Kunst zu machen, gingen wir auf die Straße.
Es gibt solche Zeiten, wo man nicht im Atelier bleiben kann. Ich
freue mich, daß meine Farben an der Dresdner Stasimauer nun
unter Denkmalschutz stehen....
Erst einmal ging ich nach Westeuropa. Das war ganz nett, aber nicht
das, was ich suchte. Eher im Gegenteil - zu technisch. Glücklicherweise
fand ich dort einen afrikanische Galerie in der auch Messingfiguren
aus Ghana ausgestellt waren. So etwas kannte ich bisher nur aus
dem Museum. Und nun gleich so ein Reichtum an Formenvielfalt - das
konnte nicht alt sein. die Afrikaner Gießen diese Kunstwerke
also heute noch und zwar in beneidenswerter Qualität und Kontinuität.
Nach einigen Minuten traute ich mir einen neuen Entschluß
zu: Da will ich hin !!
Zwei Jahre später hatte ich es endlich geschafft. Nach kurzer
Suche entdeckte ich das Dorf, in dem die Ghanaer ihre Figuren aus
Bienenwachs modellieren und dann in Messing umgießen. Ich
fand gleich einen Lehrer, der mir zwei Wochen lang die Kniffe des
Wachsmodellierens beibrachte. Wir hatten dabei viel Spaß miteinander.
Ich freute mich über seine einfachen, klaren Methoden, um komplizierte
Formen in Wachs aufzubauen - und er über meine jahrelang geschulte
räumliche Auffassungsgabe...
Wir brachen auf zu einem Arbeitsaufenthalt nach Papua-Neuguinea
in die Südsee...
Zu meinem großen Glück wohnen die Stämme, welche
die Malanganschnitzerei ausführen, auf der paradiesischen Insel
Neu-Irland im Bismarck-Archipel. Dort fanden wir sehr schnell einen
Altmeister des Malanganschnitzens, bei dem wir in die Lehre gehen
konnten. Mein Ziel war diesmal, die vorhandene Tradition zu akzeptieren
und zu verinnerlichen. Die sechs Holzmasken und Friese, welche ich
in dieser Zeit schuf, sind daher auch sehr zurückhaltend von
mir interpretiert worden. Hierbei wurde ich von der Formenvielfalt
und der spirituellen Kraft der Malanganbildhauerei mit ihren Tier-,
Pflanzen- und Menschenkombinationen stark beeindruckt...
Meine zur Zeit letzte umfassendere Arbeitsphase - die amorphen,
schwingenden Bronzen von Thailand - begann schon vor dem Studium
mit der Plastik ?Atlantik?, damals eine Einzelerscheinung. 1997
entstanden in Ghana aus massivem Bienenwachs drei stilistisch ähnliche
Ozeane - der "Pazifik", der "Indik" sowie "Atlantis".
Leider ist Atlantis beim Metallguß in Dresden verloren gegangen.
Nun endlich kombinierten sich mehrere Faktoren synergetisch zu einer
Einheit. Gemeinsam mit meiner Lebensgefährtin hatte ich nach
drei Wochen in Thailand zwei wunderbare traditionelle Gießereien
gefunden. Während unseres Aufenthaltes fanden wir an der Küste
des Andamanischen Meeres einen stillen Ort, wo ich neue Arbeiten
modellieren konnte. Zuvor hatten wir in Thailand Orte der tiefgehenden
Entspannung finden können. So entstand wieder jene leichtläufige
Arbeitsatmosphäre, wo in komprimierter Zeit monatelange Inspirationsprozesse
in künstlerische Realität übertragen werden!
In allerjüngster Zeit erfährt meine kontinentale Verknüpfung
eine neue Ausformung. Figuren, welche ich in Afrika entwickelte
überarbeite und vergrößere ich in Thailand gemeinsam
mit einheimischen Kollegen. Dabei sind an guten Tagen alle Beteiligten
von der neuen Ausdruckskraft überrascht.
Die Zukunft ist ein offener Weg -
Ich freue mich auf weitere Entdeckungen
Thomas Reichstein
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